Ferdinand von Schirach: „Terror“

Ethik für Anfänger – nur schlechter

Ferdinand von Schirach: Terror. Ein Theaterstück und eine Rede (Drama)

schirach_terrorDarf man 164 Menschen töten, um 70‘000 zu retten? Ein Passagierflugzeug wird von einem Kampfpiloten abgeschossen, bevor ein Terrorist die Maschine auf ein Stadion stürzen lässt. Ein einfaches Gedankenexperiment spaltet die Meinungen der LeserInnen und ZuschauerInnen und sorgt bei PhilosophInnen für Gefühle des Fremdschämens.

Von Angela Stella Hoppmann.

Lars Koch ist 31 Jahre alt, Kampfpilot, Ehemann und Vater. Und er ist entweder Held oder Verbrecher. Darüber soll das Publikum des Theaterstücks „Terror“ entscheiden. Koch schoss eine Lufthansa-Maschine mit 164 unschuldigen Passagieren ab, um zu verhindern, dass ein Terrorist das Flugzeug auf die vollbesetzte Allianz-Arena stürzte und dadurch 70‘000 Menschen tötete. Durfte Koch das?

Weil sein Vorgesetzter keinen Befehl erteilt hatte, setzte sich Koch über das geltende Recht und gegen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinweg und handelte eigenmächtig. Jetzt muss er sich dafür verantworten.

Terroristisch ist nur der Text

In zwei Akten, bestehend aus Gerichtsverhandlung mit Anklage und Beweiserhebung, liefern sich Staatsanwältin und Verteidiger ein geistiges Duell. Sie kennen Philosophen wie Kant und werfen mit stark vereinfachten Argumenten um sich. Auch Angeklagter Koch, eigentlich ein ziemlich langweiliger Typ, der gut in Mathe war, scheint Kant gelesen zu haben. Das Argumentationsniveau der Figuren ist allerdings das einer schlechten Einführungsveranstaltung in Ethik. Weil alles nicht schon schrecklich genug wird, baut Schirach noch eine Witwe ein, um auf die Tränendrüse zu drücken. Am Ende werden die Zuschauer zu Geschworenen gemacht und sollen „über das Schicksal eines Menschen“ entscheiden. Danach wird, je nach Abstimmungsausgang, das jeweilige Urteil verkündet. Auf einmal sind alle Expertinnen und Experten, die basierend auf falschen Tatsachen, rechtliches Durcheinander und einen extrem konstruierten Fall tatsächlich glauben, mit echten Ethikkommissionen mithalten zu können.

„Schuster, bleib bei deinen Leisten“, möchte man dem Autor raten. Schirach, der ein echter Strafverteidiger ist, hat von Strafrecht allerdings wenig Ahnung. So stellt er die Rechtslage falsch dar, Schuld und Rechtswidrigkeit durcheinander und führt Leserschaft und Publikum damit hinters Licht. Auch die Dialoge sind mehr schlecht als recht und an gewissen Stellen nahezu pathetisch.

Wo zum Teufel waren die ExpertInnen?

Bei diesem literarischen Gewaltakt fragt man sich, wo denn die ganzen ExpertInnen waren, die hätten verhindern können, dass es ein solches Stück gar ins Fernsehen schafft und dadurch eine Welle von Klugscheissern auslöst, die genauso lästig ist wie die Beisser aus The Walking Dead. Schliesslich arbeiten an einem solchen Projekt Menschen, von denen man annehmen sollte, dass sie von ihrem Fach Ahnung haben. Versagt haben am Ende alle ausser die quotengeilen Sender.

 

Titel: Terror
Autor: Ferdinand von Schirach
Verlag: Piper
Seiten: 176
Richtpreis: CHF 22.50

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