Thomas Bernhard / Nicolas Mahler: „Alte Meister“

Kunst und Karikatur

Thomas Bernhard: „Alte Meister“, gezeichnet von Nicolas Mahler (Graphic Novel)

Eine Komödie mit beissendem Humor und Tiefgang in neuer Form: Nicolas Mahlers Adaption von Thomas Bernhards „Alte Meister“ ist überaus gelungen. Comicfans dürften damit Ängste vor Klassikern und alten Meistern abbauen, Fans von Klassikern könnten den Comic für sich entdecken. – Ein neues Genre im Suhrkamp Verlag: eine Bereicherung!

Von Andrea Müller-Schmuki.

altemeisterReger, ein sehr negativer Kunstkritiker, sitzt seit über dreissig Jahren jeden zweiten Tag im Kunsthistorischen Museum in Wien auf der immer selben Bank vor dem immer selben Bild: Tintorettos „Weissbärtiger Mann“. – Damit wäre die Handlung von Thomas Bernhards „Alte Meister“ schon beinahe erzählt. Der gut 300 Seiten starke Ein-Ort-Roman entbehrt nämlich jeglicher Handlung. Neben Reger kommen noch der langweilige Saaldiener des Museums Irrsigler und der Erzähler Atzbacher vor, der als Bekannter von Reger diesem Stichworte für seine Hasstiraden auf die Kunst liefert. Die alten Meister werden nämlich als Verlogenheitsenthusiasten und als religionsverlogene Dekorationsgehilfen mit schlechtem Charakter und schlechtem Geschmack beschimpft. Stifter sei ein Kitschmeister, Heidegger ein Pantoffel- und Schlafhaubenphilosoph und Bruckner ein miserabler Komponist.

Kunst als Karikatur

Reger sagt in Bernhards Roman, dass man ein grosses, bedeutendes Kunstwerk nur dann ertragen kann, wenn man es zur Karikatur gemacht hat. Dies klingt schon fast wie eine Aufforderung, aus dem Roman eine Graphic Novel zu machen. Wie lässt sich nun aber ein so langer und statischer Roman in einen Comic verwandeln? Nicolas Mahler zeigt, wie’s geht: Hier und da wurden einzelne zentrale Sätze aus Bernhards Roman herausgepflückt, wobei in der Comic-Adaption kaum drei Sätze hintereinander stehen wie bei Bernhard. Vom Plot geht dabei kaum etwas verloren, der Roman verliert dadurch aber einiges an Witz. Thomas Bernhards literarisches Verfahren besteht schliesslich unter anderem aus der atemlosen Aneinanderreihung von Wiederholungen und Variationen, wobei die Steigerung in vielen kleinen Schritten in einer masslosen Übertreibung endet. Diese Methode der Wiederholung und Variation ist jedoch dieselbe wie beim Comic. Während die Graphic Novel häufig nur ein Bild pro Seite verwendet (so auch in diesem Buch), so greift Nicolas Mahler jedoch genau dieses Prinzip der Wiederholung auf, indem er immer wieder Reger zeigt, der auf der Bank vor Tintorettos Bild sitzt.

Die drastische Kürzung des Romans findet ausserdem bereits im Roman selbst seine Rechtfertigung: Thomas Bernhard lässt Reger nämlich sagen, dass wir das Ganze und Fertige nicht aushalten, sondern nur Freude daran finden können, wenn wir es zum Fragment machen. Genau dieses Fragmentarische unterstreicht Mahler ausserdem graphisch, indem er die Bilder der Alten Meister einmal im Ganzen darstellt und einmal nur einzelne Details davon auswählt, etwa solche, die Reger als besonders schlecht bezeichnet.

Karikatur als Kunst

Der sprachliche Witz, der durch die enormen Kürzungen verloren geht, wird durch neuen karikaturistischen Witz wettgemacht. So etwa wenn die Rede davon ist, woran die Künstler scheitern und das Wort über die entsprechende Partie im Bild geschrieben steht. Oder wenn von der lebenslänglichen stumpfsinnigen Bewunderung die Rede ist und das Bild nur hinter Gefängnisgittern zu sehen ist. Oft wird auch mit Gegensätzen gearbeitet, etwa wenn die Rede davon ist, dass der Polizeidienst lebensgefährlich sei, der Dienst im Museum nicht – und das Bild Irrsigler vor einer riesigen Herkules-tötet-Löwe-Statue zeigt.

Mahlers berühmter minimalistischer Stil passt hervorragend als Gegensatz zum Thema „Alte Meister“ genauso wie zu den Monologen Regers, in denen er sich immer mehr in oft unbegründete Kritik hineinsteigert. – Schliesslich fordert er einerseits die Karikatur und das Unfertige, andererseits macht er sich über die alten Meister lustig, da sie nur Details perfekt hinbekommen haben, jedoch nicht das Ganze.

Der Suhrkamp Verlag ist nicht der erste Literaturverlag, der den Comic für sich entdeckt hat. Neu ist allerdings, dass bei Suhrkamp nun eine Comic-Reihe herauskommt, die sich durchwegs mit Klassikern und zeitgenössischen Autoren auseinander setzt. Man darf gespannt sein auf das zweite Buch dieser Reihe: Marcel Beyers „Flughunde“ gezeichnet von Ulli Lust.


Titel: Alte Meister
Autor: Thomas Bernhard
Zeichner: Nicolas Mahler
Verlag: Suhrkamp
Seiten: 158
Richtpreis: CHF 27.50

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