„39.90“ von Jan Kounen

Höllenfahrt eines Werbefuzzis

„39.90“ von Jan Kounen

Werbung verkauft Träume, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Wirklich neu ist diese Einsicht nicht, und trotzdem scheint es angesichts der jeden Winkel des öffentlichen Raumes einnehmenden Reklame wie ein kleines Wunder, dass die Innenseite unserer Särge nicht mit Plakatwerbung bepflastert werden. „39.90“, wie der französische Film „99F“ bei uns heisst, versteht sich als Abrechnung mit der Werbebranche. Leider ist diese aber nur halb gelungen.

Von Lukas Hunziker.

39-90Octave erschafft für die Agentur „Ross & Witchcraft“ Träume. Für jedes Produkt hat der kreative Kopf die passender Verkaufsidee, Stories für Werbespots schüttelt er sich nur so aus dem Ärmel und wird davon von seinen Vorgesetzten geliebt und verhätschelt. Als kreative Arbeit empfindet Octave seine Arbeit jedoch seit langem nicht mehr. Sie ist kaum mehr als eine Unterbrechung der nicht enden wollenden Partys, die ganz im Zeichen von Kokain und nackten Frauen stehen. Octave weiss, dass er jeden Tag ein grösseres Arschloch wird, welches in einer sinnentleerten Welt verzweifelt in den Genuss stürzt, und darin je länger je weniger Befriedigung findet. Dabei hätte alles anders kommen können. Der Anfang vom Ende war jener Abend in einem Restaurant, an welchem Octave von seiner Freundin einen Schwangerschaftstest geschenkt bekommen hatte, und es nicht fertig gebracht hat, sich darüber zu freuen, Vater zu werden.

Zu zynisch, um Satire zu sein

In seinen besten Momenten vermag „39.90“ die psychologischen Mechanismen aufzudecken, die hinter der Werbung stecken, die wir tagtäglich sehen. Leider sind diese Momente sehr spärlich gestreut. Zu Beginn erhofft man sich als Zuschauer eine französische Version von „Free Rainer“, der Deutschen Abrechnung mit der Fernsehbranche. Doch die sozialkritische Reflexion Hans Weingartners ist genau das, was Jan Kounen fehlt. Dieser vermag kaum mehr, als mit giftigem Zynismus die Oberflächlichkeit seiner Protagonisten vorzuführen. Über 100 Minuten hinweg ist diese jedoch kaum zu ertragen; unmotiviert zeigt die Kamera viel nackte Haut, viel Sex, wenig originell inszenierte Drogentrips und dann will uns eine Erzählstimme wieder weiss machen, dass diese Bilder die Leere im armen Octave darstellen. Gewisse, der Film hat einige Höhepunkte, einige interessante Szenen. An seinem Thema schlittert er jedoch ebenso vorbei, wie der Protagonist am wirklichen Leben. Somit verspricht der Titel, was er nicht halten kann; statt eine Abrechnung mit jener Branche, die unser Leben und Handeln wohl mehr beeinflusst als Politik und Religion zusammen, gibt es viel schlechte Musik, Brüste und Hintern, und ein unglaubwürdige Liebesgeschichte. Erst zum Schluss wird der Film noch einmal interessant und vermag sich mit einigen originellen Einfällen halbwegs zu einem annehmbaren Abschluss zu finden. Viele werden die DVD bis dahin jedoch schon aus dem Player genommen haben.

Ausstattung

Gelungenere Satire findet sich beim Bonusmaterial. Nebst einer 45minütgen Sequenz nicht verwendeter und alternativen Szenen findet sich nämlich eine halbstündige ‚Making of‘ Parodie, welche die Mechanismen typisch Amerikanischer ‚Making ofs‘ gnadenlos vorführt. Schade nur, dass durch all diese Verachtung leider kaum durchdringt, ob wirklich so etwas wie eine Idee hinter „39.90“ steckt.


Seit dem 19. März 2009 im Handel.

Originaltitel: 99 Francs (Frankreich 2007)            
Regie: Jan Kounen
Darsteller: Jean Dujardin, Vahina Giocante, Jocelyn, Quivrin
Genre: Satire/Drama/Komödie
Dauer: 101 Minuten
Bildformat: 16:9
Sprachen: Französisch, Deutsch
Untertitel: Deutsch
Audio: Dolby Digital 5.1, Dolby Digital 2.0 (Französisch)
Bonusmaterial: Making of, Deleted Scenes, Trailer
Vertrieb: Warner

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Lukas Hunziker

Lukas Hunziker ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch. In seinem Garten stehen drei Bäume, in seinem Treppenhaus ein Katzenbaum. Er schreibt seit 2007 für nahaufnahmen.ch.

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